Bedenkenswertes zu Internetrecherche, PC-Arbeit und moderner Pädagogik? Nicht nur für Deutschlehrer...

Buchauszug

„Es war wieder einmal eine dieser Alibiaktionen, auf die immer mehr Professoren, egal, in welchem Fach, verfielen: selbstständiges Arbeiten am PC, so hieß das Zauberwort. Die Arbeit für die Lehrkraft bestand einzig und allein darin, rechtzeitig einen Raum zu reservieren und einen läppischen Auftrag zu formulieren: Recherchiere im Internet die Unterschiede zwischen Hinduismus und Buddhismus; erstelle eine Power-Point-Präsentation über mögliche Ursachen von Depressionen; finde eine Grafik zum Blutkreislauf der Primaten, und so weiter und so fort. Recherche hin, Power Point her – der Phantasie waren klare Grenzen gesetzt. Im Sprachunterricht durfte man im Informatiksaal außerdem noch Aufsätze verfassen, was für die Lehrer vor allem den Vorteil hatte, dass sich die Arbeiten so leichter Korrektur lesen ließen. Manche Professoren verlangten gar, dass man ihnen die Arbeiten per Mail nach Hause schickte, damit sie sie dann auf dem eigenen Computer speichern konnten – als gratis Vorbereitung für ihre nächste Stunde!

Bell gehörte nicht zu ihnen. Er verlangte von seinen Schülern, die Texte auszudrucken, in der nächsten Stunde vorzulesen und anschließend gegenseitig zu verbessern. So sparte er sich die Korrektur zuhause und hatte mit einem Schlag gleich mehrere Unterrichtsstunden abgedeckt. Der Gipfel war, dass er seine Methode als besonders praxisnah hinstellte. Partner- und Teamarbeit seien heutzutage das Allerwichtigste im Berufsleben, pflegte er zu predigen. Ausgerechnet er, der noch nie mit jemandem zusammengearbeitet hatte! Gerade die Deutschlehrer, das wussten alle, waren besonders resistent gegen Kooperation und Fachlehrerkonferenzen. Die meisten begriffen sich wahrscheinlich als verkannte Schriftsteller, die nur in einem Punkt übereinstimmten: dass ausschließlich ihre eigene Unterrichtsmethode, ihre jeweilige Stoffauswahl die einzig richtige und sinnvolle war. Wozu hätte man sich da noch mit anderen absprechen sollen?“  

Franz Kabelka, Jemand anders, Kriminalroman, 2011, S.31 f.

 

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