Das Märchen von der "Digitalen Bildung" |
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Mehr Computer in die Schulen, freie Handynutzung, Whiteboards in alle
Unterrichtsräume, freies WLAN möglichst überall, freie Handynutzung im
Unterricht, Einführung von Laptop-Klassen, Lernen im Netz und auf
Lernplattformen, Lernen ohne Lehrer, Bring your own device
– ein Internetzugang genügt und die
Schüler werden gescheiter, Unterricht und Lehrer besser… Dies ist seit
Anfang der 90er Jahre die Überzeugung in der deutschen Öffentlichkeit und
das aktuelle Credo der meisten Bildungsexperten.
Die Realität sieht leider etwas anders aus. Die Schüler benützen ihre Handys
auch im Unterricht vorwiegend für ihre private Kommunikation und für Spiele.
Es gibt in ganz Deutschland nahezu keine Lernplattform, die pädagogisch
sinnvoll genutzt wird. So gibt es z.B. im bayerischen MEBIS mit Ausnahme
einiger guter Unterrichtseinheiten für den Geschichtsunterricht an
Fachoberschulen keine brauchbaren Unterrichtseinheiten für andere Lehrer und
Schulen. Die Lernplattform wird zu 90% missbraucht als reines
Online-Speichermedium für von den Schülern erstellte Worddateien. Das könnte
man mit einem schulischen Intranet auch haben. Das ging früher selbst mit
Disketten. Alle weiter gehenden Versuche mit Plattformen sind an dem viel zu
hohen Aufwand für die Lehrkräfte und dem zu geringen pädagogischen Mehrwert
gescheitert. Alle derartigen Versuche, auch in Kooperation mit Unis, wurden
nach kurzer Zeit wieder aufgegeben. Viele der oftmals teuer bezahlten
„Lernplattformen“ werden heute nicht mehr für den Unterricht, sondern für
die Schulverwaltung genutzt!!!
Das gleiche gilt für die teuren Whiteboards (mit PC, Beamer und Visualizer
ginge das übrigens auch, nur billiger). Nach allen bisherigen Erfahrungen
verkommt hier der Unterricht weitgehend zu einem Lehrervortrag mit
PowerPoint-Unterstützung – da man ja mangels Tafel nicht mehr spontan auf
Schüleräußerungen reagieren kann und die Schüler als Lehrer hinter Drucker,
Visualizer und PC-Monitor oftmals sowieso nur noch sieht, wenn man aufsteht.
Anschließend werden die Schüler unter dem Schlagwort Kompetenzorientierung
mit Arbeitsblättern überschwemmt und beschäftigt. Kein junger Kollege würde
jemals ein Schulbuch benützen, obwohl die Bücher oftmals genau das
enthalten, was auf dem Arbeitsblatt zu sehen ist.
Ähnliches gilt auch für die Online-Kooperationsmöglichkeiten mit
Ausbildungsbetrieben. Bis auf E-Mail-Kontakte gibt es de facto keine
Lernortkooperation.
Die naiven Vorstellungen in Öffentlichkeit und Politik, dass man durch die
reine Anschaffung von DV-Geräten oder Netzzugang bessere Schüler, Lehrer
oder einen besseren Unterricht erhalten würde, erweist sich in der Realität
als Wunschtraum oder Selbstbetrug. Dies ergeben sogar Schülerbefragungen an
Modellschulen, bei denen sich die Schüler oftmals einfach wieder einen
„normalen Unterricht“ wünschen (vgl.
https://lernenohnelehrer.jimdo.com/befragung-bos-1/). Nürnberg hat das zweitgrößte kommunale Bildungssystem in Deutschland mit z.B. ca. 30.000 Schülern an Berufsschulen, Realschulen, Gymnasien, Fachoberschulen, Berufsoberschulen und Wirtschaftsschulen. Hier wurden schon seit Mitte der 90er Jahre massive Anstrengungen im Bereich Digitalisierung unternommen (technische Ausstattung, Vernetzung aller Unterrichtsräume, Lehrerfortbildung usw.). Doch selbst hier zeigt sich immer wieder: Ohne den Lehrkräften alltagstaugliche pädagogische Konzepte an die Hand zu geben, bleibt auch die beste technische Ausstattung nahezu wirkungslos.
Aber auch Nürnberg wird jetzt für alle Schulen
Smartboards anschaffen - der Technologiewahn ist nicht aufzuhalten. Die
Öffentlichkeit ist beruhigt, weil die Stadtverwaltung Millionen für die
Schulen ausgibt. Der Stadtrat ist stolz. Und die Schulen und Lehrer werden
das dann schon irgendwie machen. Gottseidank will man wenigsten
Lehrerfortbildungen vorschalten, so dass man noch die Hoffnung haben kann,
dass das Geld nicht völlig sinnlos verschleudert wird.
Trotz mehr EDV-Kenntnissen von Lehrern und Schülern gibt es deutschlandweit
kaum allgemein zugängliche Lernergebnisse von Schülern, kaum
Unterrichtsvorschläge für andere Lehrer und so gut wie keine dokumentierten
digitalen Unterrichtserfahrungen, von denen andere Schulen und
Bildungseinrichtungen lernen könnten. Kommerzielle Plattformen versuchen
jetzt, in diese Lücke zu stoßen, aber auch deren Angebote sind noch sehr
fragmentiert und qualitativ höchst unterschiedlich. In letzter Zeit
versuchen sich sogar Google und Co verstärkt als Anbieter von
Bildungsinhalten. Aber auch wenn sich manche Schulleiter im Lichte einer
Partnerschaft mit einem DV-Giganten sonnen, die Angebote sind im normalen
Unterricht kaum verwendbar und entpuppen sich in der Regel meist als schöne
Werbung.
Die Verantwortlichen in der Bildungspolitik müssen daher endlich begreifen,
dass die digitale Bildung zu mehr als der Hälfte nur ein pädagogischer
Prozess sein kann, bei dem Schulleiter, Lehrer und Schüler mitgenommen
werden müssen. Staatliche Bildungspolitik kann sich nicht in der
Bereitstellung von Plattformen erschöpfen, sie muss den Lehrern Content und
Methoden für ihren Unterricht an die Hand geben. Schulen und Lehrer alleine
können dies nicht leisten.
In den Schulen muss es mehr didaktisch-methodische Experimente mit digitalen
Medien geben, deren Ergebnisse und Erfahrungen dann offen diskutiert und
weitergegeben werden müssen. Es geht darum, sinnvolle und zielführende
Einsatzmöglichkeiten für digitale Medien im Alltagsunterricht zu finden und
flächendeckend in den Unterricht aller Fächer zu integrieren und diese
Unterrichtseinheiten für alle im Netz bereitzustellen. Es geht um laufenden
externen didaktisch-methodischen Input in die Schulen, es geht um gemeinsame
Arbeitsgruppen von Lehrkräften und es geht um die Einbeziehung der Schüler.
Die tägliche Erfahrung zeigt immer wieder, dass die viel beschworene
generation @ natürlich mehr spezielle EDV-Kenntnisse als früher hat,
aber
meist nicht in der Lage ist, diese in erforderliche betriebliche
Problemlösungen umzusetzen. Kaum ein Schüler kann eine sinnvolle Dateiablage
organisieren, Videos bearbeiten, Internetseiten schreiben, selbstständig
sinnvolle Excel- oder Word-Lösungen für andere entwickeln usw., von den
damit verbunden wirtschaftlichen und politischen Kompetenzen ganz zu
schweigen.
Auch ein aktuell von vielen Seiten gefordertes Fach Medienkunde,
Medienkompetenz, Medienpädagogik oder Medienerziehung wird daher kein
Allheilmittel sein. Abgesehen davon, dass es überhaupt fraglich ist, ob
digitale Kompetenz in ein Fach verlagert oder doch in jedes Fach integriert
werden sollte – ob ein Fach Medienkunde zielführend ist oder nicht, hängt
ausschließlich davon ab, wie es unterrichtet wird und was unterrichtet wird.
Ähnliches
Es gibt also noch viel zu tun. Dabei geht es aber um Pädagogik, Methodik und
Didaktik - und nicht um Technik. Die muss nur funktionieren.
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