Schöne neue Medienwelt: Fortschritt oder Rückschritt?
Eine kritische Anmerkung
   
Die Entwicklung im WWW korrespondiert mit den sonstigen medialen Entwicklungen:
  • Immer mehr Kochsendungen im Internet, aber immer weniger Leute können kochen. Super-Nannys in zahlreichen Erziehungssendungen, aber die Familien werden immer weniger ihrem Erziehungsauftrag gerecht. Immer mehr Gesundheitsbeiträge, aber die Kinder werden immer fetter.
  • Es gibt immer mehr Ratesendungen bzw. Wissenssendungen, aber die Menschen haben im Durchschnitt immer weniger Ahnung von den grundlegendsten politischen, ökonomischen und rechtlichen Sachverhalten.
  • Durch eine Vielzahl von Fernsehsendern aber auch das individuelle Konsumieren von Videos, Musik und Spielen werden die gemeinschaftlichen Erfahrungen von Menschen immer weniger; gesellschaftliche Erlebnisse werden zunehmend individualisiert.
  • Das Privatfernsehen bedient immer niveaulosere Bedürfnisse der Menschen und überschüttet sie mit Tausenden von Gewaltszenen und Tötungen, Comedy im Sinne von Lächerlichmachen anderer, Klatschgeschichten von angeblichen Stars, Katastrophen und Pseudo-Katastrophen, gesellschaftliche und familiäre Problemlösung durch Regelverletzungen, Lügen und Betrügen.
  • Immer mehr Nachrichtensendungen bringen immer weniger qualitativ gehaltvolle Nachrichten. Wir werden in stündlicher Wiederkehr mit weitgehend immer gleichen, überwiegend nichtssagenden Texten und Bildern überschwemmt (sicherlich mehr als die Hälfte aller Nachrichten und Bilder in den letzen Jahren sind fast wortgleiche Nachrichten aus Palästina, dem Irak und Afghanistan (Anschläge, politische Ankündigungen) und dazu gehörige Fotos ohne Informationswert (zerfetzte Leichen, Häuser in Trümmern, Demonstrationen, Staatsmänner beim Händeschütteln). Eine vertiefende Einschätzung und Würdigung der Ereignisse und Handlungen unterbleibt. Sie erfolgt nur noch ansatzweise in wenigen Magazinsendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
  • Die Medien verkommen zur Ankündigungs- und Streitberichterstattung, bei der persönliche Differenzen wichtiger als Sachentscheidungen sind. Das tatsächliche Endergebnis der politischen Prozesse (z.B. das endgültige Gesetz und sein genauer Inhalt) ist unerheblich. Darüber wird kaum noch berichtet, wenn es nicht mit neuen Streitigkeiten verknüpft ist.
  • Ein ursprünglicher Bildungsauftrag oder politischer Auftrag des Fernsehens und anderer Medien ist nicht mehr zu erkennen. Inhaltliche Ziele und Wertungen sind nicht mehr vorhanden und werden auch nicht mehr angestrebt. An ihre Stelle ist postindustrielle Beliebigkeit getreten, die die Empfindungen von Vergewaltiger und Vergewaltigtem auf die gleiche Stufe stellt. Jede Äußerung eines Politikers, Unternehmers oder Betroffen ist gleich gewichtig, ob sie der Wahrheit entspricht, richtig oder zumindest wahrscheinlich und logisch bzw. interessensadäquat ist, dies ist völlig unerheblich und wird in der Regel auch nicht hinterfragt. 
  • Es geht nicht mehr um die Wahrheit, es geht um Gefühle, Aufregungen und Betroffenheit. Nur sie garantieren Quote.  
  • Die Entscheidung über die Funktion der Medien in unserer Gesellschaft und deren Zukunft wird dem anonymen Markt und seiner Kaufkraft (Werbeeinnahmen und Zuschauerquoten) unterworfen.
  • Und die Wünsche der Mehrheit der Zuschauer sind unschwer zu erkennen: Neuigkeiten über Promis, Stars und Sternchen, Events, Comedy, Spiele und Sport. Nur eine Minderheit der Bevölkerung ist an ernsthaftem Journalismus, an der Suche nach Problemlösungen in einer komplexen und komplizierten Welt und an wirklichem Wissenserwerb zu technischen, rechtlichen, ökonomischen oder ökologischen Fragen interessiert.

Lässt all dies ein Potential für eine Gegenbewegung erkennen - oder müssen wir uns einfach mit der Zukunftsvision anfreunden, dass wir Erdbewohner immer blöder und fetter, aber mit viel Begeisterung in den ökologischen Abgrund rasen werden?

 

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